Die "pompejanische Bank" oder "Ein geschmackvoller Blumensitz"
Schlendert man an der historischen Herzogin Anna Amalia Bibliothek vorbei und betritt man den Park an der Ilm via den ehemaligen Hauptzugang des Parks am Haus der Charlotte von Stein, so fällt der Blick als erstes auf eine einladende Rundbank.
Photo: A Reeves, 2023 |
Die sogenannte "Pompejanische Bank" steht entsprechend dem einstigen Gedanken, gleichsam als Boudoir und Balkon des Parks, ungeschützt von Bäumen und Blicken direkt ausgesetzt – Was nicht zum Nachteil des Ortes ist, vermutlich könnte die heutige Parkaufsicht da sonst regelmässig ein Vermögen an Flaschenpfand und Abfall einsammeln – die meisten Spaziergängerinnen und Spaziergänger hasten auf der Suche nach Erholung oder auf der Jagd nach Schnappschüssen nach einem flüchtigen Blick an ihr vorbei. Dabei wäre die Bank auch einen zweiten oder dritten Blick, oder ein Probesitzen wert. (Auch wenn heute der vorbei rauschende Autoverkehr und der traurige Anblick der Ruine des Hauses der Frau von Stein die Stimmung etwas beeinträchtigt)
Schauen wir uns die Bank doch mittels einer zeitgenössischen Schilderung an – Friedrich Justin Bertuch beschreibt sie in der April Ausgabe des Jahres 1800 wie folgt:
"Eine der der geſchmackvollſten Formen für einen ſolchen lieblichen Blumenſitz ist gewiß die in dem hieſigen Herzogl. Parke auſgeführte Anlage, davon wir hierbey (Taf. 12) die Anſicht liefern. Sie beſteht in einem 24 Fuß weiten und 12 Fuß tiefen Halbzirkel, welcher 3 Stufen hoch über den Erdboden erhaben, und mit einer dekorierten Brüſtungsmauermauer von gehauenen Sandſteinen umgeben iſt. Innen herum läuft ein hölzerner Sitz, der auf Tragſteinen ruht und ſich vorne hinter zwey ſtarken ſteinernen Greifenklauen, welche gleichſsam die Armlehnen davon machen, endiget. Ueber der Bank läuft eine ſchön en Basrelief gearbeitete Bande, mit einer Blumenarabeſke herum. Auf die Pfeiler der Mauer, welche Ausladungen haben, kann man die ſchönsten und prächtigſten Treibhauspflanzen, jede in ihrem Flor, in ſchön geformten und verzierten Blumentöpfen, entweder aus der hieſigen Klauerſchen, oder aus der Höhlerſchen Fabrik in Berlin ſetzen, und auf dieſe Art die Schönheiten der Natur und Kunſt mit einander verbinden. Dieſer Blumenſitz iſt an einem der Hauptwege des Parks angelegt, und in eine ſchöne Parthie der Pflanzungen hineingeſchnitten, ſo daß er durch dieſselbe eine angenehme grüne Rückwand und Schatten erhält." (1)
Journal des Luxus und der Moden, April 1800, Tafel 12. Via ThULB/DFG |
Doch was hat es mit dieser Bank auf sich?
Die antiken Kulturen der italienischen Halbinsel waren schon seit Jahrzehnten "In" - nach Goethe, Meyer und vielen anderen reisten auch Herder, sowie Anna Amalia mit einer kleinen Gesellschaft begeistert (abgesehen von Herder, dessen Begeisterung war eher im unterirdischen Bereich angesiedelt...) und lange (vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790) kreuz und quer durch die verschiedenen italienischen Länder.
Italien, wie wir es heute kennen ist erst seit 1861 ein einheitliches Staatsgebiet, zu Zeiten Anna Amalias war Italien eine in verschiedene Fürstentümer und den Kirchenstaat zerteilte Halbinsel, aber auch eine Idee, die Suche nach den idealen der Antike und damit verbunden die Suche nach eine Sinn in einer Zeit, in der die über Jahrhunderte gewachsene Gesellschaftsnormen, -strukturen und Werte zunehmend in Frage gestellt wurden.
Luise von Göchhausen, die Begleiterin und Vertraute Anna Amalias führte ein Reisetagebuch, welches uns etwas Einblick in die Disparität der Zeit gibt: Die des Lebensalltags der Menschen vor Ort wie auch in die Gedankenwelt der gebildeten Oberschicht der Zeit:
"Den 26 [September 1789] Ich kaufte Vormittag einige Steine von Pompeï [...]" (2)
"Den 1ten October [1789] [...] Nach 12 Uhr kamen wir in Pestum(3) an, wenige Häußer stehn sieht man in der Gegend und dienen Menschen sind wandelnde Bilder von Armuth und Kranckheit, das scheint blos von Mangel an Cultur so gedrückt zu seyn. Der Anblick der 3 Tempel wendet einen sehr angenehm von jenen Bildern des Elends ab." (4)
Détail der pompejanischen Bank in Weimar Photo: A. Reeves 2023 |
Zurück nach Weimar:
"Und and dem Ufer steh ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;"
(Iphigenie auf Tauris, 1. Aufzug, 1. Auftritt)
Da wurde, was zehn Jahre zuvor noch neu und nur wenigen privilegierten Reisenden vorbehalten war, 1799 en grandeur nature umgesetzt: Die Verbindung zwischen Kunst und Kultur. Entsprechend wurde die Bank in Auftrag gegeben und aus lokalem Berkaer Sandstein gefertigt. Anders als die pompejanische Vorlage besteht die Sitzbank selbst aus Holz. Das ist nicht, wie erst gedacht, ein modernes Zugeständnis; denn Bertuch schilderte bereits: "Innen herum läuft ein hölzerner Sitz, der auf Tragſteinen ruht". Hingegen könnte ich mir denken, dass es den klimatischen Bedingungen Thüringens eher entspricht, auf Holz statt auf Sandstein zu sitzen.
Entgegen Bertuchs Beschreibung, das solche Sitze ein Ort seien "wo ſich eine kleine Gesellschaft des Morgens zum Frühstück und des Abends zum Thee verſsammeln, sich hinſsetzen und die Reize der Natur und der freundlichen Gesellschaft genießen kann. [...]" haben wir uns an einem warmen Mainachmittag dahin begeben.
In der Nachmittagssonne war es dennoch ein angenehmer Sitz, die beinahe schon sommerlichen Temperaturen liessen die Erinnerung an Sommerferien in Italien hochsteigen, Goethens Iphigenie in den Händen taten das Ihre, dass man da gar nicht mehr weg wollte.
Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!
Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!
Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die,
Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt,
Die Schätze des Olympus niederbringen.
Wie man den König an dem Übermaß
Der Gaben kennt – denn ihm muß wenig scheinen,
Was Tausenden schon Reichtum ist –, so kennt
Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang
Und weise zubereiteten Geschenken.
Denn ihr allein wißt, was uns frommen kann,
Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich,
Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle
Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört
Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung
Euch kindisch bittet; aber eure Hand
Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte,
Und wehe dem, der, ungeduldig sie
Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod
Genießt. O laßt das lang erwartete,
Noch kaum gedachte Glück nicht wie den Schatten
Des abgeschiednen Freundes eitel mir
Und dreifach schmerzlicher vorübergehn!"
(3. Aufzug, 1. Szene)
Die Verlockung nach einem Gefrorenen en face des Wittumspalais an der Esplanade war dann aber doch zu gross, so dass ich meine geduldigen Freundinnen nicht mehr länger auf diese Erfrischung warten lassen wollte und das kleine Stück Italien hinter mir liess.
Aufnahme: Gabriela Gehrig, 2023 |
Dem aufmerksamen Betrachter wird es nun nicht entgangen sein, dass die von Bertuch beschriebenen Vasen, welche lokal bei Klauer, wie auch bei Höhler in Berlin bestellt werden konnten (Schleichwerbung für die Produzenten des bon goût ist bimeicht kein Phänomen der heutigen Zeit), auf den heutigen Bildern fehlen.
via Pinterest Account der Klassikstiftung Weimar. https://www.pinterest.de/pin/498351515025747540/ |
Abschliessen möchte ich diesen kurzen Ausflug in die nördlichste Stadt Italiens nach Weimar mit der Ermunterung, sich einige Tage Zeit für die Parks zu nehmen. Die Weimarer Klassik ist nicht umsonst Teil des UNESCO Weltkulturerbes, die Parks und Gärten verdienen als Gartendenkmäler erwandelt, erkundet zu werden. Die Seele baumeln lassen, dem Gemüt durch die verschiedenen Grüntöne und schönen Sichtachsen gleichsam Entspannung wie auch angenehme Reize zukommen zu lassen. Sich hinsetzen, den Tag geniessen, bei jedem Wetter bieten die Parks Erholung.
Fussnoten:
1) Journal des Luxus und der Moden April 1800, S. 208-209.
2) Göchhausen, S. 104.
3) Paestum
4) Göchhausen, S.106.
5) https://www.klassik-stiftung.de/service/presse/pressemitteilung/neue-vasen-fuer-pompejanische-bank/
Transkription:
Journal des Luxus und der Moden, April 1800 S.208-209.
VII. Gartenkunst
Ein Blumensitz von geschmackvoller Form.
In engliſchen Gärten hat man gern ohnweit des Wohnhauſes einen angenehmen Platz, wo ſich eine kleine Gesellschaft des Morgens zum Frühstück und des Abends zum Thee verſsammeln, sich hinſsetzen und die Reize der Natur und der freundlichen Gesellschaft genießen kann. Ein ſolches Plätzchen, das gleichſam das Boudoir des Gartens iſt, ſchmückt man gern mit den ſchönſten Blumen des Gartens und des Treibhauſes, und es erlaubt nicht nur, ſondern es fordert ſogar mehr und ſorgfältigere Verzierung von der Kunſt, als andere größere Parthien des Gartens.
Die Anlage davon richtet ſih immer nach dem Orte, den man dazu wählt, ſeinen nahen Umgebungen, von Pflanzungen, Gebäuden, oder nach einer ſchönen Ausſicht, die man dabey benutzen kann; kurz, die Formen davon ſind ſo verschieden, und mannichfaltig, als die Parthien eines Engl. Gartens ſelbst; und ein geſchickter Gartenkünſtler wird, wenn er erst das Local kennt, um die ſchickliche Form nicht verlegen seyn.
Eine der der geſchmackvollſten Formen für einen ſolchen lieblichen Blumenſitz ist gewiß die in dem hieſigen Herzogl. Parke auſgeführte Anlage, davon wir hierbey (Taf. 12) die Anſicht liefern. Sie beſteht in einem 24 Fuß weiten und 12 Fuß tiefen Halbzirkel, welcher 3 Stufen hoch über den Erdboden erhaben, und mit einer dekorierten Brüſtungsmauermauer von gehauenen Sandſteinen umgeben iſt. Innen herum läuft ein hölzerner Sitz, der auf Tragſteinen ruht und ſich vorne hinter zwey ſtarken ſteinernen Greifenklauen, welche gleichſsam die Armlehnen davon machen, endiget. Ueber der Bank läuft eine ſchön en Basrelief gearbeitete Bande, mit einer Blumenarabeſke herum. Auf die Pfeiler der Mauer, welche Ausladungen haben, kann man die ſchönsten und prächtigſten Treibhauspflanzen, jede in ihrem Flor, in ſchön geformten und verzierten Blumentöpfen, entweder aus der hieſigen Klauerſchen, oder aus der Höhlerſchen Fabrik in Berlin ſetzen, und auf dieſe Art die Schönheiten der Natur und Kunſt mit einander verbinden. Dieſer Blumenſitz iſt an einem der Hauptwege des Parks angelegt, und in eine ſchöne Parthie der Pflanzungen hineingeſchnitten, ſo daß er durch dieſselbe eine angenehme grüne Rückwand und Schatten erhält. Man kann auch einen ſolchen Blumenſitz in einer Entfernung von etwa 4 Fuß, mit einem ſogenannten Roſenmantel, oder einem Eſpalier von der Tapetenroſe, (Roſa turbinata) welche 18 bis 20 Fuß hoch ſteigt, umgeben, welches eine überaus ſchöne Wirkung thut.
F. J. Bertuch.
Bibliographie und weiterführende Literatur:
Quellen:
Journal des Luxus und der Moden. Herausgegeben von F[riedrich] J[ustin] Bertuch und G[eorg] M[elchior] Kraus. Funfzehnter Band. Jahrgang 1800. Mit ausgemahlten und schwarzen Kupfertafeln. Weimar, 1800. Im Verlag des Industrie-Comptoirs. 670 S. [Nebst] Intelligenz-Blätter. (CCLX) S. und Gesamtregister. [10 S.]
Monat April https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpvolume_00055552
Editierte Quellen:
Göchhausen, Luise; Brandsch Juliane (Hg): "Es sind gar vortreffliche italienische Sachen daselbst". Luise von Göchausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien, vom 15. August 1788 bis 18. Juli 1790. In: Schriften der Goethe-Gesellschaft Band 72, Göttingen 2008.
Sekundärliteratur:
Kollar Elke. Anna Amalias Erinnerungen. In: Das Land der Griechen mit der Seele suchend. Antikenrezeption im Kontext der Weimarer Klassik. Klassik Stiftung Weimar, Referat Forschung und Bildung. Materialien für Lehrerinnen und Lehrer Band 1. S. 9. Weimar 2012.
Das ließt sich ganz wunderbar, danke für diese Ausführung! Nächstes Jahr muss ich mir dieses Fleckchen auch mal ansehen! Es gibt ja noch so viel zu entdecken! LG
ReplyDeleteEs war eine wirklich gute Idee den Fokus in diesem Mai (und bei dem angenehmen Gartenwetter) auf die "Parcke und Parthien" in Weimar zu richten. Dein Beitrag nimmt einen gleich wieder mit zum frühlingshaften Grün entlang der Ilm. Jetzt wäre der Bank (und Weimar) noch zu wünschen, dass die Aussicht auf Charlotte von Steins Haus endlich zu einem Vergnügen werden und der bauliche Stillstand behoben würde...
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