Saturday 3 June 2023

äuß’re Ruhe, inn’re Wonne; - “Das epische Vollglück in der Beschränkung”

So regte Prof. Eibach an der Uni Bern im Dezember 2022 eine Vorlesung über Biedermeier und Vormärz seine Studierenden zum Nachdenken an. Mit seiner Definition der Idylle: "Das epische Vollglück in der Beschränkung, ein Glück im Winkel." (Frei nach Jean Pauls “epische Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung”)

Ein stiller Moment über Mittag im Garten am Stern
Photo. A. Reeves, Juni 2022

Ich selbst befinde mich derzeit zwischen Semesterende und Arbeitssommer - in dieser kurzen, schwebenden Zeit, wo man sich ein, zwei Tage der Ruhe gönnt, ehe einen das Leben wieder einholt. Ein Leben gefüllt mit traurigen Nachrichten aus dem Freundeskreis und Schreckensmeldungen aus der grossen weiten Welt, von langen Arbeitstagen und vollen Terminkalendern.

Da fällt es einem doch auch auf, wie gut einem etwas “Glück im Winkel” tun kann – zu Neudeutsch die Entschleunigung – in einer ruhigen Leseecke, wo man das lesen kann, was man möchte (nicht das, was man muss/sollte), einem Balkon mit blühenden Töpfen, einer Tasse gutem Thee – und man sich einen bewussten Moment der Ruhe gönnt. Dieser kleine Luxus des Innehaltes, dieses 20 Minuten lang die Welt Welt sein lassen. 

Heute hat mich Beethovens Chorphantasie Op. 80 (von 1808) auf dem kalten Fuss erwischt. Statt wie gewohnt zur Musik zu schreiben sass ich da und lauschte. Die 20 Minuten taten einfach nur gut, sie waren eine unerwartete Wohltat. 

Wer auch mithören möchte, hier die wunderbare Interpretation von 
Alice Sara Ott und das Insula Orchestra mit Laurence Equilbey am Dirigentenpult:


Daher meine Bitte an all diejenigen, die wie ich keine geregelten Wochenenden haben, oder auch an all die, die diese haben aber sich selbst jede Ecke Zeit wegplanen, an diejenigen die vor lauter Arbeit nicht mehr wissen, wo der Kopf steht, an diejenigen, die gegen innere Dämonen kämpfen: Gönnt Euch etwas von diesem epischen Vollglück in der Beschränkung. Es braucht zwar etwas Übung und Überwindung des eigenen schlechten Gewissens, des "ich sollte doch noch..." Nein. Stellt das Telefon ab, setzt meinetwegen eine Kalendernotiz für einen Moment nur für Euch, aber nehmt Euch diesen Moment. Ihr müsst nichts hochtrabendes Lesen. Oder über einen besonders speziellen Thee sinnieren, Euch in eine Meditation zwingen, die euch fremd ist: Giesst Euch das ein, was Euch gut tut, selbst wenn es nur eine Viertelstunde unter einem Baum mit einer Aludose ist. Zug verpasst? Ärgert Euch nicht, sondern setzt Euch auf ein Bänkchen, und geniesst die geschenkte halbe Stunde, ärgern kann man sich nachher wieder. 

Oder wie Christoph Kuffner in seinem Text der Chorfantasie schrieb:

Schmeichelnd hold und lieblich klingen
unsers Lebens Harmonien,
und dem Schönheitssinn entschwingen
Blumen sich, die ewig blüh’n.

Fried und Freude gleiten freundlich
wie der Wellen Wechselspiel;
was sich drängte rauh und feindlich,
ordnet sich zu Hochgefühl.

Wenn der Töne Zauber walten
und des Wortes Weihe spricht,
muss sich Herrliches gestalten,
Nacht und Stürme werden Licht,

äuß’re Ruhe, inn’re Wonne,
herrschen für den Glücklichen
Doch der Künste Frühlingssonne
lässt aus beiden Licht entsteh’n.

Großes, das ins Herz gedrungen,
blüht dann neu und schön empor,
hat ein Geist sich aufgeschwungen,
hallt ihm stets ein Geisterchor.

Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen,
froh die Gaben schöner Kunst.
Wenn sich Lieb und Kraft vermählen,
lohnt dem Menschen Göttergunst.

Damit ein Ende des "Worts zum Samstag" - nun geht es beschwingt wieder zurück an die Tastatur, es warten einige Seiten Transkription. 

P.S.: Lest mehr Idyllen. Ja, sie sind seicht. Ja, es ist keine hochstehende Literatur. Aber sie sind Seelenbalsam.

Sunday 28 May 2023

Die "pompejanische Bank" oder "Ein geschmackvoller Blumensitz"

 Die "pompejanische Bank" oder "Ein geschmackvoller Blumensitz"

Schlendert man an der historischen Herzogin Anna Amalia Bibliothek vorbei und betritt man den Park an der Ilm via den ehemaligen Hauptzugang des Parks am Haus der Charlotte von Stein, so fällt der Blick als erstes auf eine einladende Rundbank. 


Photo: A Reeves, 2023

Die sogenannte "Pompejanische Bank" steht entsprechend dem einstigen Gedanken, gleichsam als Boudoir und Balkon des Parks, ungeschützt von Bäumen und Blicken direkt ausgesetzt – Was nicht zum Nachteil des Ortes ist, vermutlich könnte die heutige Parkaufsicht da sonst regelmässig ein Vermögen an Flaschenpfand und Abfall einsammeln – die meisten Spaziergängerinnen und Spaziergänger hasten auf der Suche nach Erholung oder auf der Jagd nach Schnappschüssen nach einem flüchtigen Blick an ihr vorbei. Dabei wäre die Bank auch einen zweiten oder dritten Blick, oder ein Probesitzen wert. (Auch wenn heute der vorbei rauschende Autoverkehr und der traurige Anblick der Ruine des Hauses der Frau von Stein die Stimmung etwas beeinträchtigt)

Schauen wir uns die Bank doch mittels einer zeitgenössischen Schilderung an – Friedrich Justin Bertuch beschreibt sie in der April Ausgabe des Jahres 1800 wie folgt: 


"Eine der der geſchmackvollſten Formen für einen ſolchen lieblichen Blumenſitz ist gewiß die in dem hieſigen Herzogl. Parke auſgeführte Anlage, davon wir hierbey (Taf. 12) die Anſicht liefern. Sie beſteht in einem 24 Fuß weiten und 12 Fuß tiefen Halbzirkel, welcher 3 Stufen hoch über den Erdboden erhaben, und mit einer dekorierten Brüſtungsmauermauer von gehauenen Sandſteinen umgeben iſt. Innen herum läuft ein hölzerner Sitz, der auf Tragſteinen ruht und ſich vorne hinter zwey ſtarken ſteinernen Greifenklauen, welche gleichſsam die Armlehnen davon machen, endiget. Ueber der Bank läuft eine ſchön en Basrelief gearbeitete Bande, mit einer Blumenarabeſke herum. Auf die Pfeiler der Mauer, welche Ausladungen haben, kann man die ſchönsten und prächtigſten Treibhauspflanzen, jede in ihrem Flor, in ſchön geformten und verzierten Blumentöpfen, entweder aus der hieſigen Klauerſchen, oder aus der Höhlerſchen Fabrik in Berlin ſetzen, und auf dieſe Art die Schönheiten der Natur und Kunſt mit einander verbinden. Dieſer Blumenſitz iſt an einem der Hauptwege des Parks angelegt, und in eine ſchöne Parthie der Pflanzungen hineingeſchnitten, ſo daß er durch dieſselbe eine angenehme grüne Rückwand und Schatten erhält." (1)

Journal des Luxus und der Moden, April 1800, Tafel 12. Via ThULB/DFG

Doch was hat es mit dieser Bank auf sich? 
Die antiken Kulturen der italienischen Halbinsel waren schon seit Jahrzehnten "In" - nach Goethe, Meyer und vielen anderen reisten auch Herder, sowie Anna Amalia mit einer kleinen Gesellschaft begeistert (abgesehen von Herder, dessen Begeisterung war eher im unterirdischen Bereich angesiedelt...) und lange (vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790) kreuz und quer durch die verschiedenen italienischen Länder. 
Italien, wie wir es heute kennen ist erst seit 1861 ein einheitliches Staatsgebiet, zu Zeiten Anna Amalias war Italien eine in verschiedene Fürstentümer und den Kirchenstaat zerteilte Halbinsel, aber auch eine Idee, die Suche nach den idealen der Antike und damit verbunden die Suche nach eine Sinn in einer Zeit, in der die über Jahrhunderte gewachsene Gesellschaftsnormen, -strukturen und Werte zunehmend in Frage gestellt wurden. 

Luise von Göchhausen, die Begleiterin und Vertraute Anna Amalias führte ein Reisetagebuch, welches uns etwas Einblick in die Disparität der Zeit gibt: Die des Lebensalltags der Menschen vor Ort wie auch in die Gedankenwelt der gebildeten Oberschicht der Zeit:


Ein Bild Tischbeins, der die Herzogin während der
Reise portraitierte, zeigt diese auf der Exedra des Grabmals
der Mamia sitzend.
Quelle: https://www.klassik-stiftung.de/digital/
fotothek/digitalisat/80-2012-0676/ 

"Den 26 [September 1789] Ich kaufte Vormittag einige Steine von Pompeï [...]" (2)
 
"Den 1ten October [1789] [...] Nach 12 Uhr kamen wir in Pestum(3) an, wenige Häußer stehn sieht man in der Gegend und dienen Menschen sind wandelnde Bilder von Armuth und Kranckheit, das scheint blos von Mangel an Cultur so gedrückt zu seyn. Der Anblick der 3 Tempel wendet einen sehr angenehm von jenen Bildern des Elends ab." (4)



 









Détail der pompejanischen Bank in Weimar
Photo: A. Reeves 2023
(Wer wissen möchte, wie dies heute aussieht, dem sei diese Seite sehr empfohlen: https://www.romeartlover.it/Pompeii8.html. Der Autor und Photograph Roberto Piperno erwähnt dabei auch unsern Tischbein und Anna Amalia; generell ist die Seite für Menschen, die nicht so einfach nach Italien reisen können oder einfach Erinnerungen auffrischen wollen einen Besuch wert. Wer das Glück hat, selbst in den Süden reisen zu können - die Exedra befindet sich in der Necropole der Porta Ercolaneo.)













Zurück nach Weimar: 


"Und and dem Ufer steh ich lange Tage, 
Das Land der Griechen mit der Seele suchend;"
(Iphigenie auf Tauris, 1. Aufzug, 1. Auftritt)

Da wurde, was zehn Jahre zuvor noch neu und nur wenigen privilegierten Reisenden vorbehalten war, 1799 en grandeur nature umgesetzt: Die Verbindung zwischen Kunst und Kultur. Entsprechend wurde die Bank in Auftrag gegeben und aus lokalem Berkaer Sandstein gefertigt. Anders als die pompejanische Vorlage besteht die Sitzbank selbst aus Holz. Das ist nicht, wie erst gedacht, ein modernes Zugeständnis; denn Bertuch schilderte bereits: "Innen herum läuft ein hölzerner Sitz, der auf Tragſteinen ruht". Hingegen könnte ich mir denken, dass es den klimatischen Bedingungen Thüringens eher entspricht, auf Holz statt auf Sandstein zu sitzen.

Aufnahme Gabriela Gehrig, 2023
Entgegen Bertuchs Beschreibung, das solche Sitze ein Ort seien "wo ſich eine kleine Gesellschaft des Morgens zum Frühstück und des Abends zum Thee verſsammeln, sich hinſsetzen und die Reize der Natur und der freundlichen Gesellschaft genießen kann. [...]" haben wir uns an einem warmen Mainachmittag dahin begeben. 










In der Nachmittagssonne war es dennoch ein angenehmer Sitz, die beinahe schon sommerlichen Temperaturen liessen die Erinnerung an Sommerferien in Italien hochsteigen, Goethens Iphigenie in den Händen taten das Ihre, dass man da gar nicht mehr weg wollte.

Aufnahme Gabriela Gehrig, 2023
"So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter
Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!
Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!
Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die,
Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt,
Die Schätze des Olympus niederbringen.
Wie man den König an dem Übermaß
Der Gaben kennt – denn ihm muß wenig scheinen,
Was Tausenden schon Reichtum ist –, so kennt
Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang
Und weise zubereiteten Geschenken.
Denn ihr allein wißt, was uns frommen kann,
Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich,
Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle
Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört
Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung
Euch kindisch bittet; aber eure Hand
Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte,
Und wehe dem, der, ungeduldig sie
Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod
Genießt. O laßt das lang erwartete,
Noch kaum gedachte Glück nicht wie den Schatten
Des abgeschiednen Freundes eitel mir
Und dreifach schmerzlicher vorübergehn!"
(3. Aufzug, 1. Szene)


Die Verlockung nach einem Gefrorenen en face des Wittumspalais an der Esplanade war dann aber doch zu gross, so dass ich meine geduldigen Freundinnen nicht mehr länger auf diese Erfrischung warten lassen wollte und das kleine Stück Italien hinter mir liess.

Aufnahme: Gabriela Gehrig, 2023

Dem aufmerksamen Betrachter wird es nun nicht entgangen sein, dass die von Bertuch beschriebenen Vasen, welche lokal bei Klauer, wie auch bei Höhler in Berlin bestellt werden konnten (Schleichwerbung für die Produzenten des bon goût ist bimeicht kein Phänomen der heutigen Zeit), auf den heutigen Bildern fehlen. 

via Pinterest Account der Klassikstiftung Weimar.
 https://www.pinterest.de/pin/498351515025747540/


1999 wurde die Bank durch die Klassikstiftung Weimar wieder durch die von Bertuch beschriebenen Zustand zurückversetzt – diese Vasen wurden jedoch schon im Jahr darauf mutwillig zerstört. Im Juli 2004 machte die Klassikstiftung einen erneuten Anlauf – wiederum vergebens(5), die Bank stand bei all unseren Besuchen ohne Blumenschmck da. Warum immer alles, was schön sein und das Gemüt erfreuen soll, zerstört werden muss, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.














Abschliessen möchte ich diesen kurzen Ausflug in die nördlichste Stadt Italiens nach Weimar mit der Ermunterung, sich einige Tage Zeit für die Parks zu nehmen. Die Weimarer Klassik ist nicht umsonst Teil des UNESCO Weltkulturerbes, die Parks und Gärten verdienen als Gartendenkmäler erwandelt, erkundet zu werden. Die Seele baumeln lassen, dem Gemüt durch die verschiedenen Grüntöne und schönen Sichtachsen gleichsam Entspannung wie auch angenehme Reize zukommen zu lassen. Sich hinsetzen, den Tag geniessen, bei jedem Wetter bieten die Parks Erholung.


Fussnoten:
1) Journal des Luxus und der Moden April 1800, S. 208-209.
2)  Göchhausen, S. 104.
3) Paestum
4)  Göchhausen, S.106.
5)  https://www.klassik-stiftung.de/service/presse/pressemitteilung/neue-vasen-fuer-pompejanische-bank/


Transkription:
Journal des Luxus und der Moden, April 1800 S.208-209.

VII. Gartenkunst

Ein Blumensitz von geschmackvoller Form.

In engliſchen Gärten hat man gern ohnweit des Wohnhauſes einen angenehmen Platz, wo ſich eine kleine Gesellschaft des Morgens zum Frühstück und des Abends zum Thee verſsammeln, sich hinſsetzen und die Reize der Natur und der freundlichen Gesellschaft genießen kann. Ein ſolches Plätzchen, das gleichſam das  Boudoir des Gartens iſt, ſchmückt man gern mit den ſchönſten Blumen des Gartens und des Treibhauſes, und es erlaubt nicht nur, ſondern es fordert ſogar mehr und ſorgfältigere Verzierung von der Kunſt, als andere größere Parthien des Gartens. 
Die Anlage davon richtet ſih immer nach dem Orte, den man dazu wählt, ſeinen nahen Umgebungen, von Pflanzungen, Gebäuden, oder nach einer ſchönen Ausſicht, die man dabey benutzen kann; kurz, die Formen davon ſind ſo verschieden, und mannichfaltig, als die Parthien eines Engl. Gartens ſelbst; und ein geſchickter Gartenkünſtler wird, wenn er erst das Local kennt, um die ſchickliche Form nicht verlegen seyn.

Eine der der geſchmackvollſten Formen für einen ſolchen lieblichen Blumenſitz ist gewiß die in dem hieſigen Herzogl. Parke auſgeführte Anlage, davon wir hierbey (Taf. 12) die Anſicht liefern. Sie beſteht in einem 24 Fuß weiten und 12 Fuß tiefen Halbzirkel, welcher 3 Stufen hoch über den Erdboden erhaben, und mit einer dekorierten Brüſtungsmauermauer von gehauenen Sandſteinen umgeben iſt. Innen herum läuft ein hölzerner Sitz, der auf Tragſteinen ruht und ſich vorne hinter zwey ſtarken ſteinernen Greifenklauen, welche gleichſsam die Armlehnen davon machen, endiget. Ueber der Bank läuft eine ſchön en Basrelief gearbeitete Bande, mit einer Blumenarabeſke herum. Auf die Pfeiler der Mauer, welche Ausladungen haben, kann man die ſchönsten und prächtigſten Treibhauspflanzen, jede in ihrem Flor, in ſchön geformten und verzierten Blumentöpfen, entweder aus der hieſigen Klauerſchen, oder aus der Höhlerſchen Fabrik in Berlin ſetzen, und auf dieſe Art die Schönheiten der Natur und Kunſt mit einander verbinden. Dieſer Blumenſitz iſt an einem der Hauptwege des Parks angelegt, und in eine ſchöne Parthie der Pflanzungen hineingeſchnitten, ſo daß er durch dieſselbe eine angenehme grüne Rückwand und Schatten erhält. Man kann auch einen ſolchen Blumenſitz in einer Entfernung von etwa 4 Fuß, mit einem ſogenannten Roſenmantel, oder einem Eſpalier von der Tapetenroſe, (Roſa turbinata) welche 18 bis 20 Fuß hoch ſteigt, umgeben, welches eine überaus ſchöne Wirkung thut.
F. J. Bertuch.


Bibliographie und weiterführende Literatur:

Quellen:
Journal des Luxus und der Moden. Herausgegeben von F[riedrich] J[ustin] Bertuch und G[eorg] M[elchior] Kraus. Funfzehnter Band. Jahrgang 1800. Mit ausgemahlten und schwarzen Kupfertafeln. Weimar, 1800. Im Verlag des Industrie-Comptoirs. 670 S. [Nebst] Intelligenz-Blätter. (CCLX) S. und Gesamtregister. [10 S.]
Monat April https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpvolume_00055552

Editierte Quellen:
Göchhausen, Luise; Brandsch Juliane (Hg): "Es sind gar vortreffliche italienische Sachen daselbst". Luise von Göchausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien, vom 15. August 1788 bis 18. Juli 1790. In: Schriften der Goethe-Gesellschaft Band 72, Göttingen 2008.

Sekundärliteratur:
Kollar Elke. Anna Amalias Erinnerungen. In: Das Land der Griechen mit der Seele suchend. Antikenrezeption im Kontext der Weimarer Klassik. Klassik Stiftung Weimar, Referat Forschung und Bildung. Materialien für Lehrerinnen und Lehrer Band 1. S. 9. Weimar 2012.

















Monday 11 July 2022

Les fleurs artificielles sont encore le genre de coëffure qui sied le mieux aux dames

Kürzlich trug ich für ein Ensemble von 1804 ein Diademe aus Seidenrosen, aber auch ein paar Jahre später hatte "Centyeux" ganz klare Ansichten zum Thema "Schmuck"





    Les fleurs artificielles sont encore le genre de coëffure qui sied le mieux aux dames, qui épuise le moins la bourse des maris, et par conséquent le plus généralement adopté. Les diamans et les pierres précieuses ont bien aussi leurs charmes; mais n'en a pas qui veut, et souvent celle qui en porte, pleure en secret le moment où la fantaisie lui a pris de se faire si brillante. Aussi ne voit-on de diamans qu'aux femmes extrêmement opulentes, et à celles qui sont bien loin d'être. Les dames qui occupent un juste milieu dans la société ne veulent point d'une parure dont l'éclat les rendroit suspectes: dans un pays où tout brille de luxe et de toilette, elles ne peuvent s'en tenir raisonnablement à la simple nature; mais elles n'emploient l'artifice que pour les fleurs: artifice bien innocent et bien excusable, qui embellit leur figure sans porter atteinte à la pureté de leur ame.
    LE CENTYEX


Journal des Dames et des Modes No. 1 (Quinzième Année.) 5 Janvier, 1811.
Via Bunka Gakuen https://digital.bunka.ac.jp/kichosho/file/No.414/414-0015-003.jpg

Saturday 19 June 2021

Den Trank, den auch der Geringste nicht zu entbehren vermag: Limonade


[...]Ich muss doch hier von den Herumträgern sprechen[...]. Einige gehen herum mit Fäßchen Eiswasser, Gläsern und Zitronen, um überall gleich Limonade machen zu können, einen Trank, den auch der Geringste nicht zu entbehren vermag [...]
Goethe an Herder, aus Neapel, den 28. Mai 1787 (JWG „Italienische Reise“, Ausgabe Deutscher Taschenbuch Verlag - dtv, 2011)


Der heutige Blogbeitrag ist gewidmet:
Citronenbaum, Isola Bella (Isole Borromee)
Photo A. Reeves, 2018




Den Auftakt haben wir mit Goethens Kommentar an Herder bereits, wenn man nach ihm ginge, bedürfte dieser erfrischende Getrank nur Eiswasser und Zitrone. (Eiswasser Anno 1787! (Auf derselben Reise begegnete Goethe auch dem Ritter Hamilton sah sowohl dessen berühmte Sammlung, wie auch Miss Hart, die spätere Lady Hamilton- und schon schliesst sich der Kreis wieder)

Auch heute gehört Limonata in Neapel zum Sommer, wie die Sonne und der Vesuv. Heute bekommt man die beim Acquafrescaio immer ganz frisch hergestellt aus 1-2 Zitronen (Vorzugsweise Amalfi-Zitronen), frisch gepresst, Mineralwasser, etwas Zucker (meist in Sirupform vorbereitet), etwas Bicarbonat, welches nur einen Augenblick vor dem ersten Schluck beigegeben wird. (Dann sofort trinken, sonst schäumt es über) Die Verhältnisse der Zutaten ist von Verkäufer zu verschieden, wer möchte, darf sich gerne auf eine 2-minütige Kurzreise nach Neapel begeben, und den verschiedenen Limonadenverkäufern über die Schulter gucken. 




(Falls das Video nicht funktioniert, bitte den Link https://youtu.be/D59qJhyYDTA benutzen)


Doch wie war das zur Goethezeit?
Beginnen wir mit Krünitz:

Limonade, die, im Plur. die -- n, doch nur, wenn von mehreren Arten die Rede ist, aus dem Franz. Limonade, und dieses aus dem Ital. Limonata, ein kühlendes Getränk von Wasser, Zucker und Limonen= oder Citronen=Saft.

Obgleich sich alle Arten der Citronen oder Limonen, die einen sauren Saft enthalten, zur Zubereitung der Limonade schicken, so muß man vorzüglich doch diejenigen Sorten dazu wählen, welche man aus Italien und Portugal bringt, weil diese diejenigen weit übertreffen, welche aus dem Fürstenthume Monaco oder aus Provence kommen. […] Die italienischen und portugisischen Citronen erkennet man nicht nur an ihrem angenehmeren Geruche und Geschmacke, sondern auch daran, daß sie nur halb so viele Kerne in sich haben als die andern.

Bey der Verfertigung der Limonade muß man zuvörderst darauf Rücksicht nehmen, daß nicht alle Theile der Citronen von gleichen Bestandtheilen und von gleicher Wirkung sind. Nur der innere Saft ist von kühlender Natur. Das in der Schale befindliche Oehl, und die sonstigen aromatischen Theile sind erhitzend. Je nachdem man von dem einen oder dem andern verhältnißmäßig mehr in die Mischung thut, wird das Getränk auch mehr oder weniger kühlend.

Will man ein Getränk haben, welches bloß kühlend ist, so ist die einfachste Art dabey zu verfahren diese. Man läßt 5 Unzen weißen Zucker in einer Pinte (Eine Pinte Wasser wiegt 1 1/2 Pfd) recht hellen Wassers schmelzen, nimmt 2 -- 3 gute Citronen, wischt sie gelinde ab und schneidet sie mitten durch. Jede dieser halben Citronen drückt man alsdann mit den Händen dergestalt aus, daß die Behältnisse, worin sich der Saft befindet, platzen, und der Saft in das Zuckerwasser fließe. Diese Mischung wird darauf durch einen tuchenen Filtrir=Sack geseihet und an einem etwas kühlen Orte zum Gebrauche aufbewahrt.[…]

Das entspricht ungefähr dem, was Goethe berichtet. Aber auch hier wieder - Zuckersirup!

[…]Soll die Limonade indessen minder kühlend seyn, so schneidet man die Hälfte der gelben Rinde dieser Frucht in sehr dünne Schälchen ab, und läßt sie 20 -- 30 Minuten in dem Zuckerwasser ausziehen, schneidet dann, wie oben erwähnt ist, die Citrone durch und drückt sie aus.[…]

Also sehr nah an dem, was wir heute als Citronensirup kennen.

[…] Die Limonade wird aber sonst auch noch auf verschiedene Weise gemacht. Einige nehmen z. B. auf eine Kanne frisches Brunnenwasser drey bis vier Citronen, schneiden die äußere gelbe Schale ab, werfen sie in das Wasser, decken das Gefäß zu, und lassen es ein paar Stunden stehen; nachher drücken sie den Saft von den geschälten Citronen vollends hinein, lassen es wieder eine halbe Stunde stehen, seihen das Wasser durch ein dichtes Tuch, und werfen so viel gestoßenen Zucker hinein, als sie für nöthig erachten. Hierauf gießen sie es einige Mahle aus einem Gefäße in das andere, und lassen es auch noch wohl einmahl durch das Tuch laufen, damit der Trank recht klar wird.

Andere hängen auch gleich anfangs etwas zerknickten Coriander und gestoßenen Zimmt in ein Säckchen gebunden hinein, und lassen es so einen halben Tag stehen. Noch andere reiben auch noch zwey oder drey Gran Bisam mit sechsmahl so viel Zucker auf einem Reibstein so lange unter einander ab, bis man keinen Bisam mehr sieht, und thun es hernach unter die Limonade, welche sie hierauf noch etliche Mahle abgießen.

Andere geben sich weniger Mühe, und nehmen nur zwey bis drey Citronen nebst vier Loth Zucker auf eine Kanne Brunnenwasser, schneiden sie scheibenweise, werfen beydes zusammen in Wasser, lassen den dritten Theil davon einkochen und seihen es endlich, wenn es kalt ist, durch ein Tuch.

Nach einer andern Methode nimmt man sechs Citronen, reibt von einer derselben die Schale mit Zucker ab, und preßt den Saft von allen aus. Alsdann kocht man 1 lb Zucker mit Wasser ganz dick und vermischt ihn mit dem Citronensafte, nebst den auf Zucker abgeriebenen Citronenschalen. Dieses läßt man zusammen eine kleine Viertelstunde durchkochen, füllt es in Flaschen, und thut davon nach Belieben unter ein Glas Wasser zum Trinken. *
*Preußischer Volksfreund. 1798. IX. S. 1138.
[…]

Auch bietet Krünitz noch ein Rezept zu einem Limonadenpulver, für eine Instant-Limonade, das dürfen Sie, dürft Ihr, gerne selbst nachlesen gehen, die Quellen sind unten nochmals verlinkt.

Citronen, Citronen und noch mehr Citronen. 
Isola Bella, eine der drei borromeeischen Inseln im Lago Maggiore. Immer wieder einen Besuch wert. (Und im kleinen Café im Park gibt es - wie man hofft und insgeheim erwartet: Limonade)
Photo: A. Reeves 2018

Und nun zu unserem Weimarer Freund - Monsieur le Goullon:

Limonade
Man nehme zu einem Maas Wasser drey Stück schöne saftige Citronen, reibe das gelbe von einer Citrone auf Zucker ab und drücke den Saft von diesen drey Citronen dazu, rühre es wohl durch einander, versüße es mit einem Viertel-Pfund Zucker und lasse es durch eine Serviette laufen.
Man kann auch, wenn es beliebt, ein halb Nösel Wein darunter thun, welcher den Geschmack der Limonade sehr erhöht. 
François Le Goullon: Der Elegante Theetisch, 1809


Die Neapolitanische Limonata wird unmittelbar vor dem Genuss zubereitet. Krünitz verweist darauf, dass sich Limonade nicht länger als zwei bis drei Tage hält. Le Goullon schreibt nichts zur Haltbarkeit, hingegen ist schreibt Czerdelinczki 1799

[…]Endlich würde es ein großer Fehler seyn , wenn man limonade und andere Erfrischungse getrånke den Tag vor dem Gebrauch maden wollte . Waffer und Citronensäure find , wenn fie eine Zeitlang beisammen sind , einander contrair, und verderben eines das andere, daher die Limonade nicht eher als kurz vor dem Gebrauch gefertigt werden darf.
Man koste eine frisch gemachte Limonade, und eine, die 24 Stunden gestanden hat, so findet man, daß eine Limonade, die 24 Stunden gestanden hat, allen Geschmack verlohren habe und nicht mehr zu gebrauchen sey.[…]


Nun hoffe ich, dass alle Leserinnen und Lesern, deren Appetit auf Limonade durch diesen kurzen Ausflug nach Neapel und in die Welt der Goethezeit-Limonade geweckt wurde, in ihrer Küche Citronen, Zucker und Wasser vorfinden, um sich mit einem Getränk neapolitanischer Art zu erfrischen. Oder mit einer gekaufte Limonade, oder einem Glas Wasser mit einem Schnitz Zitrone, oder einen Citronensirup. 

Ein Selfie vom gestrigen spontanen Freistil Goethe MoMa.
Dadurch dass es ungeplant war, befindet sich eine gekaufte
italienische Limonata in meinem Glas, sie war dennoch sehr erfrischend.
(Die Frisur ist auch dem feuchtwarmen Wetter dieser Tage geschuldet, perfekt
 für lockige Steckfrisuren. 7 Minuten vor MoMa dachte ich "Warum nicht im
Gewand von 1800, wenn ich schon mal gute Haare dafür hab?")


Wen es etwas nach Neapel zieht, aber nicht reisen kann, der/dem empfehle ich das Konzert von Accordone, Marco Beasley und Pino di Vittorio “La Musica nelle Strade del Regno di Napoli” 




Wenn die anderthalb Stunden zu lange sind, dann hoffe ich, dass zumindest Pino di Vittorios Interpretation der "Tarantella del Gargano" die Limonadenpause etwas verschönt:



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Weiterführendes & Quellen:

Oekonomische Encyklopädie von J.G. Krünitz, transkribiert zu finden unter: 
http://www.kruenitz1.uni-trier.de/ , die Stichwortsuche “Limonade”
Der Band 79 “Lilie - Loango” erschien 1801 respektive mit Zweitauflage 1807.
Oder noch im Original:
https://books.google.ch/books?id=WT-AdEOCA0kC&pg=PA170&dq=Limonade&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwimkubW3aPxAhVDzKQKHS1lB-oQ6AEwAHoECAgQAg#v=onepage&q=Limonade&f=false

François Le Goullon: Der Elegante Theetisch, 1809
https://books.google.de/books?id=4ik7AAAAcAAJ&dq=francois%20goullon%20der%20elegante%20theetisch&hl=de&pg=PA13#v=onepage&q=citrone&f=false

Franz Xaver Czerdelinczki “Der vollständige Conditor, Schweitzerbäcker und Destillateur” 1799 - Mit über 60 Eisrezepten!
https://hdl.handle.net/2027/nyp.33433006722163


Sunday 13 June 2021

Jag är kronprinsessa - Désirée Bernadotte - née Clary

Some of my more regular readers might wonder why I suddenly deviate from my modus operandi of sharing obscure sources and weird historical bits and bobs, and show a historical novel? With questionable historical content? And why the Swedish bits in the title?

Well, the answer is quite easy. First - this is the book what started it all. What made history come alive to me when I was 14 years old, and this is my old paperback from back then. Battered, read again and again. It’s the book what gave persons from the past their own personalities, what in the long run is now responsible for my digging in archives and reading letters and diaries written in the period, to find out more about the thoughts, dreams and hopes of the people back then. This is the root of all evil, and what got me interested into the French Revolution and Empire period, and what is still helping me to mindmap historical personalities together - even if they are not part of the books universe like the German early Romantics. (My brain has a weird way of connecting dots, I know. But it works.)

My battered old copy of Désirée.
A bookseller in our town was generous enough to let me pay of the book week by week,
as my pocket money didn't stretch to the full price in one go.
Yes - those were the 1990ies, when a months pocket money wouldn't be enough for a book...


The second reason is a more contemporary one - I recently receive many more hits on my blog coming from Sweden - this is a little “Hej!” to you all. I am curious to see who is reading along here, I would appreciate a note in the comments, because the hits were really more frequent in recent days and I am really intrigued.


Désirée Bernadotte - Crown Princess of Sweden,
painted by François Gérard 1811
Royal Collection Stockholm, picture via Wikimedia Commons
But - back to the lady in question - not necessarily to the character in the novel, but to the person.
Born in 17771 into a wealthy Marseillais family (not as the book has it, the daugther of a silk-merchant) named Bernardine Eugénie Désirée- she was the youngest child in a family of 10 (!) siblings - by two mothers, 3 more children didn’t reach adulthood). Yes, she had a sister named Julie, and yes, said sister did marry Giuseppe Buonaparte (Joseph Bonaparte), and she herself became Napoléon Bonapartes fiancée.

We all know - Napoléon Bonaparte ditched his bride-to-be and went on to marry Marie-Josèphe Rose de Beauharnais (Given the political climate it was more advantageous to marry a woman of nobility with connections in Paris over a provincial jeune fille). Désirée went on and married General Jean-Baptiste Bernadotte - who was elected crown prince of Sweden in 1810.


And here we have the link to Sweden. As my Swedish readers know, he assumed the name Carl Johan, she became Desideria. And lived happily ever after - respectively she in Paris, he in Stockholm for a good many years, and today's Swedish Royal Family still bears the name "Bernadotte".
Désirée Bernadotte in Mortefontaine,
painted by François Gérard 1808
Royal Collection Stockholm, picture via Wikimedia Commons

As a researcher I know Annemarie Selinkos book is fiction, and fiction written before Wikipedia, the historical facts are more a rough guideline, with a lot of embellishment. 

As a reader I love her prose. Not just in Désirée, but also in “Heute heiratet mein Mann”, “Ich war ein hässliches Mädchen” and “Morgen wird alles besser” - I read all four in German, not in translation I feel I ought to add, I don’t know how they hold up to other languages.
What does come through in Désirée was the period it was written in, and to whom it was dedicated.

There is that one passage, when the fictional character of Désirée reacts to the indoctrination of children. (Sorry, this is in German, I don't have another language edition on hand, please us Google Translate or something similar): 

“Ich möchte nicht, dass das Kind das lernt […]” “Das wird in allen Schulen des Kaiserreichs unterrichtet, es ist Gesetz”, replied the teacher.

[…] Den Bauern werden ihre Söhne von den Feldern geholt, damit sie in Napoleons Armeen marschieren, es kostet achttausend Francs, um sich vom Militärdienst loszukaufen, und achttausend Francs sind viel Geld für einen Bauern. Deshalb halten sie einfach ihre Söhne versteckt, und die Gendarmen sperren Frauen, Schwestern und Bräute als Geiseln ein. […] Warum lässt Napoleon sie denn marschieren, diese jungen Burschen, immer neue Kriege, immer neue Siege, Frankreichs Grenzen müssen doch längst nicht mehr verteidigt werden? Frankreich kennt gar keine Grenzen mehr. Oder handelt es sich gar nicht mehr um Frankreich? Nur noch um ihn, Napoleon, den Kaiser?”- Ich weiss nicht, wie lange wir einander gegenüberstanden, dieser junge Lehrer und ich. Ich hatte plötzlich das Gefühl, wie eine Schlafwandlerin in diesen letzten Jahren gelebt zu haben. Schliesslich drehte ich mich um und ging zur Tür.


If one replaces “Kaiser” with Führer, Napoleon with Hitler - it receives a way more contemporary tinge, and a way more urgent appeal. Annemarie Selinko lived in German occupied Denmark during the war until she and her husband fled to Sweden in 1943 (as their work in the Resistance became too dangerous). Her books - though light and airy on the surface can have darker sides - most visible in 
“Heute heiratet mein Mann” how much of the occupation influenced the passage when the Gestapo was searching for their resistance involved dentist and interviewed the protagonist Thesi and her husband in their own homes at gunpoint - the dentist then escaping to Sweden in an open rowing boat - as did later Selinko and her husband three years later.
Or how the protagonist Thesi - an Austrian, as was Selinko comments that her own country didn't exist anymore, was erased and part of a Reich she couldn't and wouldn't identify with. How a veteran of the International Brigade was living through deep sorrow (my great grandfather was one of the Swiss volunteers of the International Brigade, that's another reason why this book has such an appeal to me.
The Book “Heute heiratet mein Mann” was not surprisingly on the list of forbidden books in Nazi controlled territory, it is available as a reedition since 2018. (And several soppy film, what concentrate on the love story, not on the political issues)

What she describes in Désirée happening to farmer’s sons in the period happened to Danes during the war (also to Alsatians, and I am sure to other areas under occupation). If some went into hiding, their wives, sisters, daughters were taken in, to pressure the deserters out of their hiding places. Désirée might appear a soppy, easy read on the surface, but to anyone with a penchant to history, and 20th century history a such, the undertones don't go unnoticed. 

“Désirée” bears the dedication: “Dem Andenken meiner Schwester Liselotte, ihres Frohsinns und ihrer Herzensgüte, in tiefem Leid gewidmet”- “In memory of my sister Liselotte, in memory of her cheerful nature and her goodness, dedicated in deep sorrow”
Her sister Liselotte was murdered in Auschwitz, in 1944.

So - my dear Swedish readers and of course my other readers: 
I hope this post wasn't too shallow, the regular nerdy content will resume shortly.
Did you know the real Désirée Bernadotte? Or did you only knew about Annemarie Selinko's Désirée? Have you read the book? Watched one of the movies? And who among you gets the thing about "I also used four handkerchieves..." and co-miserates with a lady who still has to take refuge to those to achieve the fashionable Empire silhouette?


Further reading:

The Swedish royal collection’s page:
https://www.kungligaslotten.se/english/articles-movies-360/rosersberg-palace/2020-11-24-desideria---queen-from-a-distance.html


The excellent page by Julie Zetterberg
http://www.nebula5.org/clary/person.html

A good blog by Michael Sibalis picking apart the story and fiction (in English)
https://h-france.net/fffh/classics/2857/

Wikipedia entries to Désirée, her sister Julie, her husband Bernadotte and her “rival” Joséphine:
https://en.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9sir%C3%A9e_Clary

https://en.wikipedia.org/wiki/Julie_Clary
https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_XIV_John
https://fr.wikipedia.org/wiki/Jos%C3%A9phine_de_Beauharnais


And a nice set of prints and some letters: 
http://nicolequinnnarrates.blogspot.com/2012/08/desiree-from-mcgill-university-napoleon.html



The story of Annemarie Selinkos’s Sister Liselotte Roederer (née Selinko)
https://www.joodsmonument.nl/en/page/639532/selinko-family-story


About Annemarie Selinko:
https://jungle.world/artikel/2018/27/puderdose-und-stellungnahmen

https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/annemarie-selinko



Further watching:

“Le Destin fabuleux de Désirée Clary” by Sacha Guitry from 1942 https://ok.ru/video/748068669962
The movie is in black and white, in French, not subtitled - I recommend an ad-blocker on your browser.

“Désirée” by Henry Koster from 1954 - based on the novel of Annemarie Selinko - https://www.youtube.com/watch?v=3SR2Vl5qaPY a movie that bad that it’s already good again (I own the DVD, perfect if one wants some really easy and soppy 1950ies historical fiction)

Secrets d’Histoire - “Marseillaise et Reine de Suède”
Secrets 
d’Histoire is a French Documentary channel with subscription content. The nice bits: They usually have access to the most amazing places and passages and rooms usually hidden to visitors. The bad - every woman is "La petite (insert name of heroine here)" "Elle était belle" "La p'tite mignonne (insert name of heroine here)" - there's even some sort of "Secret's d'Histoire Bingo" - because the formula repeats itself again and again. 
Easy on the eye, something for a rainy Sunday afternoon, don't expect much - it's a format for a general public, not for historians. But - credit where credit is due - it really helped making History again a staple in French households, and during museums events a lot of visitors come prepared with some knowledge they were able to pull from those shows.
https://secretsdhistoire.tv/o/Content/co400709/desiree-clary-marseillaise-et-reine-de-suede

You might want to keep an eye on youtube, sometimes Secrets d’Histoire reruns older shows for a limited period of time. https://www.youtube.com/watch?v=kTC7hIfGddo 

Thursday 10 June 2021

Danse du Schall

Wer hat nicht die Beschreibung von Nataschas Tanz in Tolstois "Krieg und Frieden" gelesen, und sich gewundert, was der Shawl-Tanz wäre, den sie in des Onkels Behausung hinter sich liess, und ganz in der russischen Musik aufging? 

Emma Hamilton, by Rehberg.
Curtesy of RMG https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/107372.html


Über Jahre hinweg habe ich Hinweise gesammelt, Beschreibungen in Theaterstücken gelesen, Hinweise in Modejournalen und Zeitungen gefunden, ab und zu auch mal Musikstücke, immer mit der leisen Hoffnung, einen Hinweis auf eine Choreographie zu finden (ähnlich wie bei der Pas du Shawl in Raymonda, ein ganz eindeutig späteres Ballett)

Ich denke, was sich viele vorstellen, ist eine Art frühe Isadora Duncan, eine Mischung zwischen Ballett und Eurythmie, wie oben der Stich nach Rehberg, oder wie das Aquarell der Tänzerin Annette Köbler in der Sammlung des Rijksmuseums: 


 
Danseres Annette Köbler, de pas-de-shawl uitvoerende
http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.163137


Nun werde ich die Überraschung grad verderben - die Beschreibungen gehen auf die Attitüden der Lady Hamilton zurück, eine eigentliche Choreographie scheint zumindest für den Anfang nicht zu existieren. 
Lady Emma Hamilton hatte Zugang zur Umfangreichen Vasensammlung ihres Mannes, Sir William Hamilton (mehrere hundert, und hunderte bereits verkauft, aber auch katalogisiert und als Kupferstiche über ganz Europa verbreitet, Herzogin Anna Amalia von Weimar wie auch Fürst Franz von Dessau besassen Vasen aus der Sammlung des Ritters Hamilton, wenn man Böttiger Glauben schenken darf.)

Es klingt schlüssig, aber wird absolut augenscheinlich wenn man die Stiche nach Rehberg anschaut, die im RMG, dem Royal Museums Greenwich verwahrt werden.

Und dennoch - wenn man bedenkt dass Henriette Hendel später auch Schülerinnen in der Kunst der Pantomime unterrichtete, blieb die Hoffnung auf eine Choreographie, oder zumindest eine Empfehlung der Figurenabfolgen, doch selbst dies ist mir bislang nicht untergekommen.

Während ich für ein anderes Projekt, welches noch so manche Wendung und Irrung nehmen wird, ehe es zur Publikation kommt, auch immer wieder über Hinweise zum Danse du Schall oder dem Pas du Schall stolpere, dachte ich, ich amüsiere sowohl mich, wie auch die Leserinnen und Leser meines Blogs, und teile einige interessanten Entdeckungen, die ich im im Laufe der letzten Monate respektive Jahre gemacht und transkribiert habe:




Emma Hamilton, by Rehberg.
https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/107369.html

Doch kommen wir nochmals auf Lady Hamilton zurück, und lassen doch am besten den guten Böttiger sprechen: 

"Mehr noch als auf alle diese Vasen ist der Ritter Hamilton auf den Besitz einer Gemahlin stolz, die durch das zaubervolle Wechselspiel ihrer Pantomime alles übertrifft, was je die geschicktesten Theaterkünstlerinnen in dieser Art schnell vorübergehender Darstellung zu leisten im Stande waren. [...] Man nennt in England, wo diese pantomimische Nachahmungskunst weit fleißiger geübt, und von den ersten Schauspielerinnen zuweilen in eigenen Vorstellungen auf das Theater gebracht werden, Imitations und von ihnen hatte auch Miß Heart [Emma Hamilton] ihre Kunst zuerst entlehnt. 
Im Umgange mit Hamilton zu Neapel suchte sie solche noch immer mehr zu vervollkommnen, und besonders auf die merkwürdigsten Darstellung gewisser durch ältere und neuere Kunstwerke berühmter Attitüden anzuwenden. Alles dieß ist ihr über alle Vorstellung gelungen, und wenn Hamilton seinen Freunden im scherzhaften Ton zweilen zu versichern pflegt, daß er in seiner Gemahlin alle schönen Statuen, die der schöpferische Meißel großer Bildhauer hervorgebracht hat, zusammen besitzte; so ist dieß für alle diejenigen, die selbst so glücklich waren, Augenzeugen dieses bezaubernden Pantomimenspiels zu seyn, etwas mehr als eine bloß scherzhafte Behauptung. Ihr Anzug, wenn sie vor einem auserlesenen Kreise ihrer Freunde diese Verwandlungen vornimmt, ist ein ganz einfaches langes weißes Gewand, unter der Brust mit einem kunstlosen Bande gegürtet, ganz wie die Tunika der Alten. "



Emma Hamilton by Rehberg
https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/107375.html

"Ausser diesem hat sie nichts, als einen sehr weiten, freien indischen Schaul oder Schleier, den sie, so wie es die Beschaffenheit der jedesmal hervorzubringenden Attitüden fodert [sic], mit einer wunderbaren Behendigkeit und Geschicklichkeit bald lang von ihrem schönen Haar herabfließen, bald in dem schönsten Faltenwurf an diesen oder jenen Theil des Körpers sich anschließen, bald leicht flattern, bald nur die Füße bedecken läßt. Kurz, dies ist der Zaubermantel einer Fee, durch dessen meisterhaften und auf den malerischen Effekt berechneten Gebrauch sie eine unendliche Mannigfaltigkeit von Bekleidungen hervorzubringen versteht."




https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/107370.html

"Das Vortheilhafte dieser Kleidung, sagt uns ein urtheilsfähiger Augenzeuge, welche ihre schlanke Gestalt nur leicht verhüllt; ihre langen Castanienbraunen Haare, die in einem Nu nach jeder Art von Stellung sich richten; die Gesichtszüge, welche jeden Ausdruck bestimmt zeichnen und durch eine leise Spannung festhalten; und endlich die Mannigfaltigkeit der Stellungen selbst, dieß alles formiert ein in seiner Art einziges Schauspiel."

Journal des Luxus und der Moden, Februar 1795 S. 77-79
https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00252575/JLM_1795_H002_018_a.tif?logicalDiv=jportal_jparticle_00093557

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Aus Französischen Blättern.

Frau Baronin von Krüdner[sic], die geist- und gefühlvolle Verfasserin der Valerie, hatte durch die Beschreibung, die sie in diesem Romane von dem Shawl-Tanz der Lady Hamilton gab, in Paris allgemeine Neugier auf diesen Tag erweckt. Sie fand Gefallen daran, einige junge, schöne Freundinnen darin zu unterrichten, und bald gehörte es zum besten Ton, ihn tanzen zu können. Gardet hat das zu einem neuen Ballet benutzt: Une demi-heure de caprice ou la danse de Schall. Es soll sehr artige Scenen haben, aber im Ganzen mißfiel es, vorzüglich wegen seiner zu einfachen Musik. - Bei Gelegenheit dieses Ballets gesteht ein Franz. Kunstrichter, daß das Pariser Ballet in Rücksicht des eigentlichen pantomimischen Tanzes so weit zurück ist, daß man die Versuche in demselben gar nicht versteht, wenn sie nicht etwa von einer bekannten Melodie begleitet werden.

(Zweiter Jahrgang der beiden Zeitschriften: Der Freimüthige und Ernst und Scherz 1804- Herausgegeben von A.v. Kotzebue und G. Merkel, Berlin. S. 372 No 223, Donnerstag den 8. November )


La Baronne Juliane de Krüdener, par Angelika Kauffmann
via Wikimedia Commons

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DANSE DU SCHALL

Valérie demanda son schall, d'une mousseline bleu-foncé; elle écarta ses cheveux de dessus son front; elle mit son schall sur sa tête; il descendit le long de ses tempes, de ses épaules; son front se dessina à la manière antique, ses cheveux disparuent, son sourire habituel s'effaça peu-à-peu, sa tête s'inclina, son schall tomba mollement sur ses bras croisés sur sa poitrine; et ce vêtement bleu, cette figure douce et pure, sembloient avoir été dessinés par Le Corrège, pour exprimer la tranquille résignation; et quand ses yeux se relevèrent, que ses lèvres essayèrent un sourire, on eût dit voir, comme Shakespeare la peignit, la Patience souriant à la Douleur, auprès d'un monument. 
Ces attitudes différentes, qui peignent tantôt des situations terribles, et tantôt des situations attendrissantes, sont un langage éloquent puisé dans les mouvemens de l'ame et des passions. Quand elles sont représentées par des formes pures et antiques, que des physionomies expressives en relèvent le pouvoir, leur effet est inexprimable. Milady Hamilton, douée de ces avantages précieux, donna la première une idée de ce genre de danse vraiment dramatique, si l'on peut dire ainsi. Le schall, qui est en même tems si antique, si propre à être dessiné de tant de manières différentes, drape, voile, cache tour à tour la figure, et se prête aux plus séduisantes expressions.

Journal des Dames et des Modes (de Francfort) No 3, 16 Janvier 1804 , P 67/68


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La danse du Schall est en ce moment la danse à la mode, et mérite d'être connue: peu de gens la savent éxecuter encore. C'est une femme seule qui en forme toutes les figures avec ce fichu long appellé schall; la danseuse, pour produire plus d'effet, doit être toute vetue de blanc, et son schall doit être en aurore ou ponceau et de forme longue. C'est en le roulant autour d'elle, en le posant de diverses manières sur sa tête, en le mettant sur ses bras en harmonie avec diverses poses du corps que la danseuse retrace les antiques d'Herculanum; et voilà ce qu'on appelle la danse du Schall.

Journal des Dames et des Modes (de Francfort) No 7, 13 Février 1804 , P 180/181


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Plate 1117 1811, N4
Source: BNF Costume de Bal, Pas du Schall


Journal des Dames et des Modes, No. 4, 20 Janvier 1811, Gravure 1117
In der Ausgabe selbst wird nicht näher auf das Ballkleid eingegangen. 



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Korrespondenz Nachrichten, Paris, 20. Jan.
Während man allenthalben gegen die englischen Fabrikate

zu Felde zieht, ergreift der Kaiser alle Maßregeln, die in-

ländischen in Aufnahme zu bringen; so wurde neulich verord-

net, daß die Amtskleidung der Gerichtspersonen wie vormals
von Seide sey; auch bey Hofe wird man künftig nur in Sei-

de oder Sammet, nach der Jahreszeit, erscheinen können. Die

Einfuhr von Shawls, sie mögen wo immer herkommen, soll 

gänzlich verboten werden; eine Maßregel, wodurch die gegen-

wärtig in Frankreich befindlichen sehr im Preise steigen dür-

ten, wenn anders die Shawls nicht ganz außer Mode kom-

men. [...] Einstweilen werden die Shawls noch allgemein getragen,
und der Pas du Shawl noch auf allen feinern Bällen ge-
tanzt. Während in England nur die Hamilton und in
Deutschland nur Madame Händel mit einer Akademie
von Shawl-Gruppen das Publikum bezaubert, ist Paris
so glücklich Hunderte solcher Künstlerinnen zu besitzen. In
manchen Gruppen scheinen sie die Stellung der Niobe zu ko-
pieren, wo sie von den Pfeilen der Latona getroffen wird.


(Morgenblatt für gebildete Leser, 1811, S. 115, via Googlebooks)
https://books.google.ch/books?id=j0Y8AQAAIAAJ&printsec=frontcover&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q=Shawl&f=false


Anmerkung: Henriette Hendels Pantomimen wurden ebenfalls auf Kupferstichen festgehalten, und während einige der Posen wirklich gut erkennbar und direkt zuzuordnen sind - beispielsweise die Cassandra wie auch die Ariadne auf Naxos, so sind ihre Marien und italienischen Madonnen ein klares Zeichen, dass sich der Zeitgeschmack weg von der Klassik zu einem romantischen Bild verschiebt. 
https://www.worldcat.org/title/pantomimische-stellungen-von-henriette-hendel/oclc/251812180

Ich denke, ich werde Henriette Hendel in näherer Zukunft noch genauer vorstellen.

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[...]Corinne hat eine Sirenenstimme, und man bat sie zu singen; man fand eine Laute in dem Tempel, und sie entzückte die Gesellschaft, besonders aber die Männer. Man sprach, und Corinne erzählte mit unendlicher Anmuth; ihre Erzählung zog die Aufmerksamkeit aller Anwesender auf sich. Unter allen ihren Vollkommenheiten sind ihr Hals, ihre Arme, und ihre Hände ganz bewunderungswürdig. Sie tanzt den Pas de Schall zum entzücken. - Alle Männer kamen durch so viele Reize in Verzauberung; alle überhäuften diese beyden Damen mit den lächerlichsten Lobsprüchen; [...]


(Marie, oder, die Leiden der Liebe. Von Louis Bonaparte 1813.   https://books.google.ch/books?id=foZJAQAAMAAJ&dq=Shawl%20schall&pg=RA1-PA100#v=onepage&q=Shawl%20schall&f=false

Genau. Der Louis Bonaparte, der mit Hortense de Beauharnais verheiratet war, einer Frau die gemäss ihrer Zeitgenossen eine feinfühlige und gute Tänzerin war; und der als Ehemann in ihren Memoiren als eifersüchtiger Choleriker davonkommt. Ob wir hier etwas Einblick in seine eigene Gefühlswelt bekommen? 


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Das Instrument der Wahl, eine Shawl Pantomime zu begleiten war zumindest nach Steibelt die Harfe - vielleicht weil sie in der Vorstellung der Zeigenossen der Antiken Leier und Kithara am ehesten entsprach?


D. Steibelt's variation for the harp. 
via IMSLP

Leider hatte ich noch keinen Erfolg bei der Suche nach Madame de la Hante, der Dame, der die Partitur gewidmet ist - ob verwandt mit Jacques La Hante, dem wir einige Tanzpartituren in den 1760ern und 1770ern verdanken - da kann zum aktuellen Zeitpunkt nur mutmassen, aber nicht bestätigen, und hoffe, dass mir beim weiteren Stöbern und Suchen die mysteriöse Dame wieder unter die Augen kommt.
Ich vermute jemanden, den Steibelt inspirierte oder ihm nahestand, da im Journal de l'Empire lundi 2 mai1808 eine andere Publikation beworben wurde, auch diese Madame de la Hante gewidmet.



"Fantaisie avec neuf variations sur la walse russe, pour le forté-piano,
dédiée à madame de la Hante; par D. Steibelt.
Prix: 6 fr. , et 6fr. 50c. par la poste.
Chez Sieber et Erard, marchands de musique et d'instruments, rue
de la Loi, no 28, à la Flûte enchantée."



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    Aus Petersburg.

    Wir haben hier auf dem Französischen Theater zwei Vorstellungen von La Caravane de Caire, grand Opera-Ballet, musique de Gretry gehabt, avec tout son spectacle. Die Musik ist schön, des Spektakels viel, die Ausführung prachtvoll und das Ganze dennoch - etwas langweilig. Schwerlich wird sich diese Oper lange halten; - und wenn sie sich hält, so hat sie dies einzig und allein den lieblichen Tänzen zu verdanken, welche Didelot arrangiert hat. In der Scene, wo auf dem herrlichen Bazard von Corfinis Meisterpinsel, dem Pascha (Hrn. Mées) die Sklaven vorgstellt werden, tanzt zuerst Dem. Rose-Colinet ein Pas de Shawl ganz unvergleichlich. Die Attitüden und Drapperien dieser Künstlerin sind ganz das Werk der Grazien.

    (Zweiter Jahrgang der beiden Zeitschriften: Der Freimüthige und Ernst und Scherz 1804- Herausgegeben von A.v. Kotzebue und G. Merkel, Berlin. S. 460 No 245, Sonnabend den 8. December )

Anmerkung: Es mag dem modernen Leser helfen, wenn man weiss, dass Bühnentanz in der Zeit noch in drei Kategorien eingeteilt war: Danse Noble, Demi-caractère und Comique. Beispielsweise ist Marie Gardel wie auch Vestris als TänzerIn in der Kategorie "Demi-Caractère" zuhause, wo auch das Tanzen eines eines Pas de Schall, einer Pantomime mit Schawl eingeordnet wird.



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Einstweilige Konklusion: 
Es handelt sich beim Danse du Schall, der Pas de Schall, der Pantomime, der Attitüde immer um eine Vorführung. Sei es im privaten Raum zu Hause, sei es im Kreise ausgesuchter Kunstkenner, sei es auf der Opernbühne wie Eingangs Annette Köbler. Es ist kein partizipativer Tanz, dem sich andere Tänzer anschliessen können, wie die von uns so geliebten Contredanses. Ähnlich wie beim der Musik und dem Schauspiel, erstreckte sich das Spektrum der Fähigkeiten wohl von Liebhaberei und Dilettantismus im schönsten Sinne des Wortes zu professionellen Tänzerinnen, die auf den Opernbühnen der Grossstädte ihre Kunst zeigten.



Further Reading: 



Re: Gardel:  George Dorris (2003) The Age of Gardel, Dance Chronicle, 26:1, 101-105, DOI: 10.1081/DNC-120018853 T
https://doi.org/10.1081/DNC-120018853


Atelier Polonaise hat ebenfalls einen interessanten Artikel zum Danse du Schall verfasst, ich empfehle Google Translate für die Lektüre.
https://chiaranzana.blogspot.com/2016/03/la-danse-du-schall-czy-taniec-wyzwolony.html