Saturday 3 June 2023

äuß’re Ruhe, inn’re Wonne; - “Das epische Vollglück in der Beschränkung”

So regte Prof. Eibach an der Uni Bern im Dezember 2022 eine Vorlesung über Biedermeier und Vormärz seine Studierenden zum Nachdenken an. Mit seiner Definition der Idylle: "Das epische Vollglück in der Beschränkung, ein Glück im Winkel." (Frei nach Jean Pauls “epische Darstellung des Vollglücks in der Beschränkung”)

Ein stiller Moment über Mittag im Garten am Stern
Photo. A. Reeves, Juni 2022

Ich selbst befinde mich derzeit zwischen Semesterende und Arbeitssommer - in dieser kurzen, schwebenden Zeit, wo man sich ein, zwei Tage der Ruhe gönnt, ehe einen das Leben wieder einholt. Ein Leben gefüllt mit traurigen Nachrichten aus dem Freundeskreis und Schreckensmeldungen aus der grossen weiten Welt, von langen Arbeitstagen und vollen Terminkalendern.

Da fällt es einem doch auch auf, wie gut einem etwas “Glück im Winkel” tun kann – zu Neudeutsch die Entschleunigung – in einer ruhigen Leseecke, wo man das lesen kann, was man möchte (nicht das, was man muss/sollte), einem Balkon mit blühenden Töpfen, einer Tasse gutem Thee – und man sich einen bewussten Moment der Ruhe gönnt. Dieser kleine Luxus des Innehaltes, dieses 20 Minuten lang die Welt Welt sein lassen. 

Heute hat mich Beethovens Chorphantasie Op. 80 (von 1808) auf dem kalten Fuss erwischt. Statt wie gewohnt zur Musik zu schreiben sass ich da und lauschte. Die 20 Minuten taten einfach nur gut, sie waren eine unerwartete Wohltat. 

Wer auch mithören möchte, hier die wunderbare Interpretation von 
Alice Sara Ott und das Insula Orchestra mit Laurence Equilbey am Dirigentenpult:


Daher meine Bitte an all diejenigen, die wie ich keine geregelten Wochenenden haben, oder auch an all die, die diese haben aber sich selbst jede Ecke Zeit wegplanen, an diejenigen die vor lauter Arbeit nicht mehr wissen, wo der Kopf steht, an diejenigen, die gegen innere Dämonen kämpfen: Gönnt Euch etwas von diesem epischen Vollglück in der Beschränkung. Es braucht zwar etwas Übung und Überwindung des eigenen schlechten Gewissens, des "ich sollte doch noch..." Nein. Stellt das Telefon ab, setzt meinetwegen eine Kalendernotiz für einen Moment nur für Euch, aber nehmt Euch diesen Moment. Ihr müsst nichts hochtrabendes Lesen. Oder über einen besonders speziellen Thee sinnieren, Euch in eine Meditation zwingen, die euch fremd ist: Giesst Euch das ein, was Euch gut tut, selbst wenn es nur eine Viertelstunde unter einem Baum mit einer Aludose ist. Zug verpasst? Ärgert Euch nicht, sondern setzt Euch auf ein Bänkchen, und geniesst die geschenkte halbe Stunde, ärgern kann man sich nachher wieder. 

Oder wie Christoph Kuffner in seinem Text der Chorfantasie schrieb:

Schmeichelnd hold und lieblich klingen
unsers Lebens Harmonien,
und dem Schönheitssinn entschwingen
Blumen sich, die ewig blüh’n.

Fried und Freude gleiten freundlich
wie der Wellen Wechselspiel;
was sich drängte rauh und feindlich,
ordnet sich zu Hochgefühl.

Wenn der Töne Zauber walten
und des Wortes Weihe spricht,
muss sich Herrliches gestalten,
Nacht und Stürme werden Licht,

äuß’re Ruhe, inn’re Wonne,
herrschen für den Glücklichen
Doch der Künste Frühlingssonne
lässt aus beiden Licht entsteh’n.

Großes, das ins Herz gedrungen,
blüht dann neu und schön empor,
hat ein Geist sich aufgeschwungen,
hallt ihm stets ein Geisterchor.

Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen,
froh die Gaben schöner Kunst.
Wenn sich Lieb und Kraft vermählen,
lohnt dem Menschen Göttergunst.

Damit ein Ende des "Worts zum Samstag" - nun geht es beschwingt wieder zurück an die Tastatur, es warten einige Seiten Transkription. 

P.S.: Lest mehr Idyllen. Ja, sie sind seicht. Ja, es ist keine hochstehende Literatur. Aber sie sind Seelenbalsam.

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