Tuesday 2 January 2018

11 Nivôse An IX de la République - 1. Jänner 1801

Oder auch, ein neues Jahr gemeinsamer Spurensuche. Heuer durchforsten Sabine und meinereiner die Ausgaben von 1801 - bei mir sind es aber nach dem französischen Kalender die Jahre 9 und ein Stückerl vom 10.



Für mich nimmt es heuer noch eine weitere spannende Wendung.
Ich werde mich nicht wie gewohnt auf die BNF stützen können, sondern suche die Seiten in der Datei der Bunka Gakuen Library zusammen, ab März muss ich zudem selbst für die Scans sorgen, da ich gerne auch die Sammelausgabe der Frankfurter Kopie aus meiner Bibliothèque mit in den Vergleich einbeziehen möchte.

Die Transkription entspricht der Originalausgabe - d.h. in späteren Ausgaben kann es dabei durchaus zu einer Mischung zwischen Deutsch und Französisch kommen.
Übersetzungen fertige ich nach Lust & Laune, wenn mir die Zeit fehlt, dann wird halt nur die Transkription mit meinen Kommentaren veröffentlicht.
Die Auswahl der Artikel ist natürlich meine Sache, wenn es um Dinge geht, die mich nicht wirklich interessieren, halte ich mir vor, diese zu überspringen, der interessierten Leserschaft steht unten durch die Links der Originaltext zur Verfügung.

Und los geht es - wir starten nicht am Republikanischen Neujahr (was zur Herbst Tag-und Nachtgleiche wär), sondern ganz konservativ am 1. Januar 1801. Wie es der Zufall will, ist das der 11. Nivôse, damit wäre gestern die neue Ausgabe erschienen, und heute in meinem imaginären Postkasten zu finden.

Auf der Ersten Seite grad ein Artikel, der eine Jüngerin Terpsichores natürlich anspricht:


Des Queues

On peut remarquer avec surprise que l'excessive étendue des queues de robes subsiste, quoiqu'elle soit un obstacle à la facilité des mouvemens. Mais il n'est rien dont la grâce, l'adresse et la légérèté de nos belles ne parvienne à triompher. C'est même un spectacle assez curieux dans une walse générale, de voir les ondulations sinueuses de toutes ces étoffes sur le parquet de la salle, figurant aux yeux de l'observateur, le mouvement des vagues, d'un tourbillon rapide, et donnant aux danseuses l'air d'autant de nayades. Cependant les vrais principes de l'art charmant de Terpsichore finiront par interdire ces embarrassantes comètes qui entrainent avec elles toujours quelques inconvéniens. On s'apperçoit même déjà que plusieurs vêtements de bals se rapprochent des convenances à cet égard, et qu'il commence à s'introduire des robes rondes assez courtes sur le devant, pour laisser les danseuses jouir d'un avantage qui n'est pas sans mérite, celui de montrer une jolie chaussure et un pied délicat. On sait que le pied de la beauté n'est pas un des ses moindres moyens de plaire, et peut être, ne fut-ce que pour varier, seroit-il utile à ses intérêts d'être un peu plus économe des voiles de ce côté, et un peu moins vers les parties supérieures.


Wir bemerken mit Erstaunen, dass Kleider mit Schleppen immer noch in Mode sind, auch wenn dies noch so sehr der freien Bewegung hinderlich sind. Doch das ist Nichs im Vergleich zur Anmut und Leichtigkeit, mit der unsere Schönen diesem Hindernis trotzen. Es ist ein gar kurioses Spektakel, wenn während einem allgemeinen Walzer sich diese Wogen aus Stoff auf dem Parkett schlangengleich bewegen, der Betrachter sich an die Bewegung von Wasser gemahnt fühlt, und die Tänzerinnen Nayaden gleichen.
Nun doch, die wahren Verehrer Terpsichores charmanter Kunst wünschen nichts so sehr, wie diese störenden Kometen zu verbannen, man sieht sogar schon die ersten Ballkleider, die sich diesem Wunsche annährn, und die vorne kürzer geschnitten sind, um der Tänzerin diese Freiheit zu geben; dies hat einen weiteren Vorteil, erlaubt es doch den Blick auf einen hübschen Schuh und einen zarten Fuss. Es ist ja gemeinhin bekannt, dass der Fuss einer Schönen nicht ihr geringster Vorteil ist, und so kann es durchaus nicht von Nachteil sein, wenn dessen Schleier auch auf den Seiten ökonomischen Gedanken folgen müssten.

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Gefolgt von einem Artikel, der auch den Löwenanteil der Folgeseite einnimmt - eine überschwänglich begeisterte Annahme von Haydn's Schöpfung durch das Pariser Publikum, welches Unsummen für Karten ausgab (Seite 153/154)

THÉATRE DES ARTS - Il faut avoir vu l'Opéra, le 3, pour se faire une idée de l'éclat dont il brilloit. Tout ce que Paris renferme en jeunesse et beauté, s'y trouvoit réuni. Dès neuf heures du matin, la foule étoit aux bureaux. Un coupon de loge a été revendu 1200 fr. Une dame avoit loué pour ce seul jour, une garniture de diamans, 60 louis. C'étoit une fureur, il falloit entendre le fameux Oratorio d'Haydn. Rien, en effet, de plus imposant, de plus magnifique, rien qui réponde mieux au sujet sublime de la Création du monde, que cette belle composition musicale. Nous nous bornerons à dire qu'en concevant l'idée de faire chanter par les anges, les sept époques de la création, le compositeur s'est imposé la tâche de peindre par le chant, non seulement les mouvemens de chaque être, mais leur physionomie et presque leur caractère; et qu'il y a réussi plus que l'on ne peut se l'imaginer, même à l'égard des êtres inanimés, comme les eaux, les fleurs, etc. En un mot, les deux premières parties sont une succession non interrompue de tableaux très-variés, et qui offrent les effets les plus pittoresques. 
La troisième n'est que l'expression de la reconnoissance d'Adam et d'Eve. Elle semble, par consequent, être moins riche, et se rapproche peut-être trop, non pas pour la manière, mais pour l'intention, des chants d'action de grâce quel le compositeur fait executer par les choeurs celestes, à la fin de chaque journée. L'orchestre, par la manière savante dont il a été conduit, a prouvé qu'une réunion d'instrumens, quelque considerable qu'elle soit, peut laisser entendre les chanteurs, et ne faire sentir son nombre que dans les momens où le musicien a voulu produire de grands effets par la combinaison la plus savante des accords.

Man muss die Oper am 3. gesehen haben, um sich eine Vorstellung des dortigen Glanzes zu bekommen. Alle die in Paris schön und jung sind, haben sich dort versammelt. Ab neun Uhr morgens stürmte die Masse die Verkaufstellen, ein Platz in der Loge wurde zu 1200 francs verkauft. Eine Dame habe, nur für den einen Tag, sich eine Diamantengarniture zu 60 Louis geliehen! Es war ein Wahn, man musste das viel gerühmte Oratorium Haydns gehört haben.
Und nichts ist wahrlich beeindruckender, wunderbarer, nichts kommt dem wirklichen göttlichen Werk so gleich, der Schöpfung der Welt, wie diese wundervolle Komposition.
Wir beschränken uns, zu sagen, dass sich durch die Idee, die Engel singen zu lassen, und damit die sieben Tage der Schöpfung zu beschreiben, der Komponist die schwere Aufgabe auferlegt hat, mit Gesang Bilder entstehen zu lassen, und nicht nur die Bewegungen jeden Wesens, sondern auch deren Gestalt, ja ihren Charakter; und dies ist ihm besser gelungen, als man es sich nur vorstellen könnte, selbst bei unbelebten Objekten wie Wasser, Blumen etc.
In einem Wort - die ersten beiden Teile sind eine ununterbrochene Abfolge von abwechslungsreichen Bildern, die uns die anmutigsten Effekte offerieren.
Der dritte Teil beschäftigt sich nur mit der Erkenntnis von Adam und Eva, und scheint, im Vergleich weniger reich, und nähert sich vielleicht zu sehr an, nicht in ihrer Art, doch in der Absicht des Gnadengesangs, welche der Komponist durch himmlische Chöre am Schlusse jedes Tages erklingen lässt.
Das Orchester, welches geschickt und mit grossem Wissen geführt wurde, bewies dass sich auch ein so zahlreiches Mitglieder umfassendes Ensemble die Sänger hören lässt, und tritt nur in voller Anzahl in Erscheinung, wenn diese Wirkung durch den Musiker zum Besten bewusst produziert wird.


Dazu muss man noch anmerken, dass Haydns grosse Orchesterbesetzung, welche wir heute als "normal" empfinden, von der zeitgenössischen Besetzung abweicht.

Gefolgt von einem Artikel mit der Überschrift Théâtre de l'Opéra Comique - also der Opera buffo oder der komischen Oper - der sich der Aufführung von Bion von Méhul widmet, basierend auf Bion von Smyrna Βίων ὁ Σμυρναῖος. (einem bukolischen Dichter der griechischen Antike, dem man grossen Einfluss auf die grossen Dichter der Antike zuspricht, von dem jedoch kaum etwas erhalten ist)
Die Zusammenfassung der Handlung ist etwas verwirrend, auf den Zeitgeschmack zurecht getrimmt,  und da mich Theater aktuell nur am Rande interessiert, empfehle ich, selbst nachzulesen, bis ich dazu komme, mehr dazu zu schreiben.
Verfasst wurde die Oper aber von Etienne Méhul, einem der bekannten Revolutionskomponisten.
Für uns noch wichtig mitzunehmen - Die Oper wurde am 6. Nivôse mit grossem Erfolg aufgeführt, d.h. wir haben es hier mit einer hochaktuellen Rezension zu tun, und in Erwartung, dass nicht jeder Leserin und jedem Leser vergönnt ist, die Aufführung eines Stückes zu sehen, dem der Berichterstatter offenbar doch recht grosse Wellen hervorsagt, wurde das Libretto en Détail im Artikel erläutert.

Gefolgt von einer Rezension der aktuellen Produktion La Martingalle im Théâtre des Troubadours, von dem ein Couplet komplett abgedruckt wurde (es geht in dem Stück ums Glücksspiel, und um die "absolut sichere Methode", in der Form einer Vaudeville Glosse mit Arlequin, Columbina und den ganzen anderen leichten Charakteren, die diese Lustspiele so auszeichnen
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Und nun kommen wir zu einer interessanten und langen Passage - Le mérite des femmes von G. Legouvé. Im aktuellen (1801) sozialen Klima ist dies besonders spannend, da wir in den letzten 10 Jahren ein Ringen um Gleichberechtigung miterleben. In unseren heutigen Augen ist der Auszug recht einseitig, und lobt Schönheit, Talent, die Mutterschaft - aber auch den modernen Vater, dem die moderne Frau nicht nur Geliebte sein soll, sondern auch Freundin. Und dass der Mann dies gefälligst zu schätzen lernen habe.

Der Abschnitt schliesst nach beinahe zweieinhalb Seiten mit:

La femme a nourri notre enfance, guidé nos premiers pas, enflammé notre jeunesse, elle embellit encore nos derniers jours. Que pourroient opposer les ennemis du sexe aux traits que le poëte leur a présentés. Les portraits de plusieurs femmes dont la honte ne tombe que sur elles; car, comme dit l'auteur, jugea-t-on jamais les rois sur les Tibères?

Les femmes, dût s'en plaindre une maligne envie,
Sont ces fleurs, ornement du désert de la vie.
Reviens de ton erreur, toi qui peux les flétrir:
Sache les respecter autant que les chérir;
Et, si la voix du sang n'est point une chimère,
Tombe aux pieds de ce sexe à qui tu dois ta mère.



Die Frauen, über die man sich bösartig das Maul zerreisst,
Sind die Blumen in der Wüste des Lebens,
Widerrufe deine Fehler, Du, der sie vertrocknen lässt.
Lerne sie ebenso zu respektieren, wie verehren,
Und wenn das Band des Blutes nicht nur ein Luftgespinst ist,
Dann fall zu Füssen dem Geschlecht, welchem Du Deine Mutter verdankst.

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Und wie erklärt man einer Frau, dass man sie für schöner als selbst Venus hält? Mit einigen simplen Versen, in denen Venus im Wettstreit mit Juno und Minerva unterliegt, wenn denn Elise bei Paris' Urteil auch anwesend gewesen wäre ;-)

snipped from Bunka Gakuen
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EXPLICATIONS DE LA GRAVURE, No. 269

Rose et capucine sont, après le blanc, les couleurs les plus ordinaires des capotes. On fait toujours des chapeaux de velours noir, mais pour la demi-parure seulement. On voit quelques chapeaux de velours ponceau, quelques autres en velours chiné. Les rubans sont toujours peluchés.
Le 3 à l'Opéra, on a remarqué des coëffures en cheveux à la Cérès, ayant en devant deux gerbes d'épis d'argent ou d'or, réunies en diadème. - Des réseaux à la Circassienne, en fil d'argent, larges derrière et revenant en pointes très étroites se nouer au dessus du front. - Des rûches de satin, ou de crêpe, préparées par les modistes pour recevoir de la main du coëffeur, la forme des coëffures à l'antique. - Des croissans, des diadèmes, des aigrettes de diamans à plusieurs branches.
Presque toutes les robes étoient coupée à la turque et garnies de clinquant. Quelques-unes étoient en satin blanc ou rose; un très-grand nombre étoit en crêpe blanc ou noir; sur quelques-unes brilloit une pluie de jais ou d'acier. Les capotes avoient, en devant, trois plumes blanches, ou un esprit. OU ne voyoit ni chapeaux noirs ni voiles: Quelques fichus de crêpe noir ou ponceau, imitoient le turban. 
Nous avons entre les mains des graveurs trois costumes pris dans cette brillante réunion.

Erklärung des Modekupfers No 269

Rose und Capucines (ein helles Rosenrot und ein orangerot mit einem Hauch von Rosa) sind nach Weiss, die geläufigsten Farben für Kapotten. Man fertigt immer noch Hüte von schwarzem Samt, doch nur demi-parure. Man sieht ebenso Ponceaufarbenen (Mohnrot) Hüte, andere in chiné velours, Die Bänder sind immer plüschig.

Am 3. in der Oper konnte man Frisuren à la Ceres bewundern, welche vorne mit zwei Garben Kornähren aus Silber oder Gold, geschmückt waren, die sich zum Diadem formen. Auh sieht man Netze à la Circassienne, aus Silberfaden. Hinten weit, so werden sie nach vorn hin schmäler und werden in kleinen Spitzen auf dem Stirn geknotet. Rüschen aus Satin, gefertigt von Modistinnen, wandern in die Hände der Coiffeure, für Frisuren nach Antiker Art. 
Eben so Halbmonde, Diademe, Diamantenaigretten mit mehreren Zweigen.
Beinahe alle Roben waren nach türkischer Art geschnitten, und aufs glitzerndste garniert. Einige waren aus rosa oder weissem Satin, eine grosse Anzahl in schwarzem oder weissem Crêpe, auf einigen schillerte ein Schauer von Gagat (Jet) oder geschnittenem Stahl.
Die Kapotten hatten vorne drei weisse Federn, oder auch einen Esprit. Man sah weder schwarze Hüte noch Schleier, nur einige Fichus aus schwarzem oder Ponceau Crêpe, welche Turbane imitierten.
Wir halten drei Kupfer in den Händen, die während dieser glänzenden Veranstaltung gezeichnet wurden. (Anmerkung: Und die wir wahrscheinlich erst in den nächsten Ausgaben zu sehen bekommen…)



Als Nachtrag der modernen Person: Ich persönlich finde es erstaunlich, dass mehr als eine Woche nach dem Attentat in der Rue Saint-Nicais (3 Nivôse), dem Datum auf welches sich der Modebericht bezieht, kein Wort über den Anschlag verloren wird, und man sich hingegen in Details der Toiletten und Accessoires ergeht.

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Enigme - das Rätselspiel, verfasst von einer Abonnentin / einem Abonennten in Bruges / Brügge.
Da es ziemlich witzlos ist, dies auf Deutsch zu übersetzen, lasse ich es auf französisch...
Donc - comme c'est fort inutile de le traduire en allemand, je le laisse en français - je suis curieuse qui savent le déduire de mes lectrices et lecteurs.

Snipped from page 160 Bunka Gakuen 

Also - bis zur nächsten Ausgabe, bonne lecture, et bonne année!


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Links zur besprochenen Ausgabe, No 20, 5tes Jahr der Zeitschrift:
http://digital.bunka.ac.jp/kichosho/file/No.414/414-0005-036.jpg - Titelseite 10 Nivôse An9: Leitartikel "Schleppen", sowie Theaterbesprechung Théâtre des Arts zu Haydns Schöpfung.
http://digital.bunka.ac.jp/kichosho/file/No.414/414-0005-037.jpg - Folgeseiten 154/155: Opéra: Kritik Haydns Schöpfung, Opéra Comique: Bion von Méhul, Théâtre de Troubadours, La Martingalle
http://digital.bunka.ac.jp/kichosho/file/No.414/414-0005-038.jpg - Folgeseiten 156/157 - Ende des Couplets von Martingalle / Le mérite des femmes
http://digital.bunka.ac.jp/kichosho/file/No.414/414-0005-039.jpg - Folgeseiten 158/159 - Ende des Le mérite des femmes, A Elise, Dialog, Explication de la Gravure 269
http://digital.bunka.ac.jp/kichosho/file/No.414/414-0005-040.jpg - Letzte Seite 160 - Beschreibung der Gravure, Rätsel & Impressum /  Titel der nächsten Ausgabe:



2 comments:

  1. Ahhhh...welch ein Vergnügen,solch schön aufbereitete Häppchen zu Lesen.Ich freue mich, auf diesem Wege ein Stückchen der "Reise" miterleben zu dürfen. Ich wünsche Dir ein wunderbares, freud- und liebevolles neues Jahr und viele interessante Fundstücke! Herzliche grüße, Hannah

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  2. Juhu! Ich freue mich so, dass wir wieder gemeinsam auf Abenteurreise gehe und die Möglichkeit haben, die Journale miteinander zu vergleichen. Wie sehr schimpfte doch Heinrich von Kleist über die französische Mode. In einem Brief von 1801 schrieb er an Luise von Zenge:
    "Ein Aprilmonat kann kaum so schnell mit der Witterung wechseln als die Franzosen mit der Kleidung."
    Mal sehen, ob er Recht hat...ich bin schon gespannt auf all unsere Fundstücke!

    Sabine

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