Tuesday 10 October 2017

Salomon Gessner (1. April 1730 - 2.März 1788)- ein Zürcher Selfmademan erobert Europa

Wer in Zürich gelebt hat, hat früher oder später mal den Namen Gessnerallee gehört, das Gessnerdenkmal auf dem Platzspitz gesehen (oder vor 20 Jahren noch das "Gessner-Parkhaus" erlebt).
Beschäftigt man sich mit  der Literatur, die die Zeit um 1800 beinflusst hat, kommt nicht um den Zürcher Dichter herum. Er war hoch gefeiert, heute beinahe vergessen, und nur noch als Flurname bekannt, was ich eigentlich sehr bedauere

Ich bin über die Radierungen in Emilie von Berlepsch's Sommerstunden (ein Wunderbares Buch) auf Gessner gekommen, und hab erst einmal einen Zuckerschock erlitten.
Gessner feiert in seinen Idyllen das bukolische Idyll, eineWelt, die es eigentlich nie gab.
Ein Arkadien, welches antike Züge hat, und doch durch und durch romantisch verklärt ist.

Für den modernen Leser ist Gessner zuweilen "Starche Tuback" - und liegt zuweilen etwas quer im Hals, bei seinen Zeitgenossen hatte er aber voll ins Schwarze getroffen; Rousseau und Diderot überschlagen sich und können ihn kaum genug loben. "Je sens que votre ami Gessner est un homme selon mon coeur" wie Rousseau an Huber schreibt (und ich frage mich grad, was hielten eigentlich die frühen Jenaer Romantiker von Gessner? Völlig veraltet oder noch immer topmodern?)

Eine Kostprobe aus seinen Idyllen:
Hier wollen wir dann ins weiche Gras uns lagern, wenn Ziegen an der felsichten Seite klettern, und die Schafe und die rinder um uns her im hohen Grase waten; dann wollen wir über das weit ausgebreitete Thal hinsehn, ins glänzende Meer hin, wo die Tritonen hüpfen, und wo Phöbus von seinem Wagen steigt, und wollen singen, dass es weit umher in den Felsen wiedertönt, dass Nymphen still stehn und horchen, und die Ziegenfüssigen Waldgötter.

Wer mehr lesen möchte, dem empfehle ich, dem Link hier  zum Digitalisat zu folgen.

Ursula Pia Jauch von der NZZ (übrigens auch eine Gründung von Gessner) hält aber fest:
Was wir heute leichthin und etwas verächtlich als Bukolik rubrizieren, ist entstanden in der dunkelsten Zeit der Zürcher Sittenmandate. Die Einwohner sind gegängelt von tausenderlei Vorschriften vom Kirchenbesuch über die Kleiderordnung bis hin zur selbstverständlichen Bücherzensur. Man muss dieses Klima der polizeistaatlichen Unfreude, Furcht und Sprödigkeit vor dem geistigen Auge haben, um den nicht einmal so kühnen, sondern vor allem befreienden Ton nachvollziehen zu können, den Gessner anschlägt, wenn er die Hand seines Schäfers auch einmal «auf dem leichtbekleideten Schoosse» seines Mädchens spielen lässt. Mit einigem Glück hat Gessner seine Werke an der Zensur vorbeigebracht, und gewagt waren nicht nur die Schäferszenen, sondern auch diese oder jene deutliche Bemerkung über Armut auf dem Land und die Korruption der politischen Macht.
Quelle: NZZ 1.4.2005

Salomon Gessner - ein sehr interessanter Mann.

Ein Buchbinder- und händlerssohn, der eigentlich in Berlin in der Spenerschen den Buchhandel hätte lernen sollen, aber dann lieber zeichnete und dichtetet. Der sich gegen den Willen seiner Eltern verheiratete (nach Judith Gessner geb. Heidegger ist ein kleiner Platz entlang der Sihl im Zürcher Kreis 1 benannt) und beruflich nach anfänglichen Startschwierigkeiten Anerkennung fand.

Er stand unter anderem der Zürcher Porzellan- und Fayencenmanufaktur vor, war als Sihlherr zuständig für die Versorgung der Stadt Zürich mit Brennholz aus dem Sihlwald. Das von ihm mit-gegründete Verlagshaus "Orell, Gessner, Füssli & Cie" gibt es heute noch, als "Orell Füssli" einer der grossen in der Schweizer Buchhandlungs- und  Verlagslandschaft.

Erste Seite der Zürcher Zeitung, dem Vorgänger der NZZ
Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53056

Gessner erscheint als anpackender Mensch, ein Praktiker. Und grad darum fasziniert mich, wie er den arkadischen-Schäfer-Idyllendichter und den Macher unter einen Hut gebracht hat.

Ein paar Bilder, die ich auf einem Stadtbummel geschossen habe:

Das Gessnerdenkmal auf dem Zürcher Platzspitz
Photo: A. Reeves
Inschrift von Nahem
Photo: A.Reeves


Zunfthaus zur Meisen an der Limmat, gegenüber dem Grossmünster.
 Gessner wurde 1765 für die Zunft zur Meisen in den Grossen Rat gewählt.
1767 dann in den Kleinen Rat. Im Zunfthaus zur Meisen ist heute die
  Porzellansammlung des Schweizer Landesmuseums untergebracht.
Photo: A. Reeves


Das Haus zum Schwanen, wo Gessner ab 1736 gewohnt hat
Photo: A Reeves
Goethe hat sich in seinen Reisebeschreibungen eher über Lavater ausgelassen,
aber wir wissen, dass sein Ego zuweilen Mühemit in "seinem" Feld
erfolgreichen Menschen hatte. (Man denke nur daran, dass
er seine Zeichenkünste der von A. Kauffmann ebenbürtig dachte)
Photo: A. Reeves
Ein stattliches Bürgerhaus, und heute bummelt man einfach so daran vorbei, ohne zu wissen, wer eigentlich da einst gewohnt hat.
Photo: A. Reeves



Links die nicht direkt im Text eingebaut sind, und dennoch interessant sind:

Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Gessner
https://de.wikipedia.org/wiki/Emilie_von_Berlepsch

HLS - Historisches Lexikon der Schweiz
http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11825.php


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